Mittwoch, 26. November 2008

Neandertaler waren Hüttenbauer und Kannibalen

Wiesbaden (neandertaler-zeitung) - Die in der Altsteinzeit zwischen etwa 115.000 und 35.000 Jahren existierenden späten Neandertaler waren viel weiter entwickelt, als weithin in der Öffentlichkeit bekannt ist. Das geht aus dem Taschenbuch "Rekorde der Urmenschen" des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst hervor. Es ist bei "GRIN Verlag für akademische Texte" erschienen.

Die Neandertaler waren maximal 1,60 Meter groß, hatten einen robusten Körperbau mit sehr massiven Extremitätenknochen, die im Unterarm und Oberschenkel oft stark gebogen waren. Sie besaßen eine flache Stirn, ein durchschnittlich 1500 Kubikzentimeter großes Gehirn, kräftige Überaugenwülste, massive Vorderzähne und starke Muskeln.

Nach archäologischen Funden zu schließen, lebten die Neandertaler in West-, Mittel- und Osteuropa. Keinesfalls wohnten sie nur in Höhlen und unter Felsdächern, wie Laien oft meinen, sondern auch in selbst errichteten Hütten im Freiland. Eine vor etwa 100.000 Jahren erbaute Hütte von Molodowa im Gebiet von Tschernowizy am Dnjestr hatte einen ovalen Grundrisss von maximal 8 Meter und wurde von vielen Mammutresten begrenzt.

Die Neandertaler gelten als die frühesten auf bestimmte Tierarten spezialisierten Jäger. In Mitteleuropa jagten sie mit Stoßlanzen und Wurfspeeren vor allem die in Herden auftretenden Wildpferde. Ihre Zeitgenossen in den Alpen, im Kaukasus und anderen Gebirgslandschaften stellten bis in Höhen von etwa 2000 Metern Höhlenbären nach. Auf der Krim erlegte man vorzugsweise Wildesel und Saiga-Antilopen. In der Gegend des Flusses Dnjestr in der Ukraine brachten die Neandertaler überwiegend Mammute zur Strecke. In den Steppen des Kaukasusvorlandes und an der Wolga waren Wisente die häufigste Jagdbeute. Im Nahen Osten mussten vor allem Damhirsche ihr Leben lassen. Und in Gebirgslandschaften Mitteleuropas erbeutete man hauptsächlich Bergziegen.

Wie ihre Vorfahren beherrschten die Neandertaler bereits das Feuer. Lange vor ihnen hatten bereits die Frühmenschen gelernt, das auf natürliche Weise durch Blitzschläge oder Waldbrände entstandene Flammen zu hüten. Etwa 50.000 Jahre alte Neandertaler-Feuerstellen kennt man im Netzetal bei Edertal-Buhlen im Kreis Frankenberg (Hessen) und am ehemaligen Ascherslebener See bei Königsaue in Thüringen.

Vielleicht wurde sogar die früheste Operation in der Geschichte der Menschzeit schon zur Zeit der Neandertaler vor mehr als 50.000 Jahren vorgenommen. Es handelt sich möglicherweise um die Amputation eines Armes an einem Neandertaler, dessen Skelettreste in Shanidar (Irak) gefunden wurden. Der Arm war entweder krank oder verletzt gewesen. Einige Anthropologen bezweifeln allerdings, dass eine Amputation vorliegt.

Sehr seltene Funde in Frankreich und Deutschland dokumentieren, dass manche Neandertaler bereits Anhänger als Schmuck trugen. Dazu gehören ein Fuchszahn mit angefangener Durchbohrung von La Quina (Frankreich) sowie ein durchbohrter Schwanzwirbel vom Wolf und ein anderes durchbohrtes Knochenstück vom Wolf auf der Bocksteinschmiede im Lonetal in Baden-Württemberg.

In England (Pin Hole in den Creswell Crags) und in Ungarn (Tata) fand man Beweise dafür, dass die Neandertaler die ersten Musiker waren. Dabei handelt es sich um aus Holz oder Knochen geschnitzte länglich-ovale Schwirrgeräte, die man an einer langen Leine in der Luft kreisen lassen konnte, wobei sie summende Töne erzeugten. Weitere Musikinstrumente waren Höhlenbärenknochen, die man so bearbeitete, dass man damit musizieren konnte.

Die Neandertaler gelten als die ersten Urmenschen, die ihre Toten liebevoll bestatteten und vermutlich bereits religiöse Vorstellungen entwickelten. Teilweise hoben sie für die Verstorbenen sorgfältig Gruben aus und bestatteten sie darin mit Beigaben in Form von Werkzeugen, Waffen und Speisen. Die Beigaben spiegeln den Gedanken an das Weiterleben im Jenseits wider.

Manche Funde lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich die Neandertaler zeitweise als Kannibalen betätigten. Die meisten Reste von Kannibalenmahlzeiten aus der Zeit der Neandertaler wurden in Kroatien und Frankreich entdeckt. In der Halbhöhle von Krapina nördlich von Zagreb (Kroatien) barg man von 1899 bis 1905 zerschlagene und teilweise angebrannte Knochenreste von mindestens 24 Menschen. In Hortus (Südfrankreich) wurden Reste von 20 bis maximal 36 Menschen gefunden, deren Knochen allesamt zerbrochen waren und inmitten von Mahlzeit- und Tierresten lagen.

Der berühmteste Neandertaler-Fund - wenn nicht sogar der bekannteste Urmenschen-Fund überhaupt - glückte 1856 in der Kleinen Feldhofer Grotte im Neandertal bei Düsseldorf-Mettmann in Nordrhein-Westfalen. Nach diesem Tal, das damals noch mit "th" geschrieben wurde, sind die Neandertaler (Homo sapiens neanderthalensis) benannt.


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